Im Alltag

Hast Du mich verstanden? Wie wichtig „Leichte Sprache“ in unserem Alltag ist.

Als Texterin und gleichzeitig hochsensibler Mensch habe ich ein besonderes Gespür für die Wirkung von Sprache bzw. Wörtern. Und trotzdem fehlen mir im Alltag mit unserem Fips oft die (richtigen) Worte. Wie kann das sein?

Bitte möglichst einfach!

Ich will es mal so sagen: Die Kommunikation mit unserem Fips ist eben sehr „besonders“. Sein Wortverständnis ist zwar mittlerweile recht groß, und er kann sich auch relativ gut verständlich machen, dennoch kann ich mich mit ihm nicht wie mit einem gleichaltrigen „gesunden“ Kind unterhalten. Zur Orientierung habe ich immer die Aussage unseres Arztes im Kopf: „Seine kognitive Entwicklung liegt bei etwa 50% eines gleichaltrigen gesunden Kindes.“ Mit seinen 4 ½ Jahren liegen wir also aktuell beim kognitiven Entwicklungsstand eines Kindes von etwa 2 ¼ Jahren. Das ist für mich schonmal ein grober Anhaltspunkt für die Kommunikation mit unserem Fips.
Aber ganz praktisch betrachtet muss ich es überhaupt erstmal schaffen, seine Aufmerksamkeit zu bekommen, wenn ich mit ihm sprechen möchte. Denn oft ist er in Gedanken ganz woanders, ist abgelenkt und damit schwer zu erreichen. Dann hilft nur abwarten, bis er wieder „da“ ist. Bis er ansprechbar und aufnahmefähig ist. Zum anderen ist seine Aufmerksamkeitsspanne sehr begrenzt. Daher muss ich mich wirklich kurzfassen, wenn ich sicher sein will, dass meine Botschaft bei ihm ankommt. Vor allem aber muss meine Sprache eins sein: Möglichst einfach!

Im Detail bedeutet das:

  • kurze, einfache Sätze
  • immer nur EINE Botschaft pro Satz
  • keine verschachtelten Sätze
  • Begriffe verwenden, die er kennt
  • Pausen machen zwischen den einzelnen Sätzen
  • Blickkontakt halten
  • idealerweise durch Gestik und Mimik unterstützen
  • teilweise helfen auch Gebärden

Leichte Sprache – gar nicht so leicht

Ich gebe mir größte Mühe, diese Punkte im Gespräch mit unserem Fips zu berücksichtigen. Aber ich bin ehrlich: es gelingt mir nicht immer. Es erfordert teilweise wirklich Disziplin und auch Kreativität. Nicht immer schaffe ich es, meine Botschaften so geschickt und einfach zu transportieren, dass unser Fips sie sofort versteht. Denn oft muss es ja auch in Sekundenschnelle passieren. Dann rattert es in meinem Kopf, wie ich es am besten sage, und am Ende – sage ich gar nichts. Weil mir die passenden Worte fehlen. Und weil ich ihm einen unbrauchbaren Redeschwall ersparen möchte. Aber ich denke, wir sind auf einem sehr guten Weg. 😊
Mittlerweile habe ich auch für mich erkannt, dass es völlig in Ordnung ist, wenn ich mich oft noch schwer tue mit dieser „leichten Sprache“. Schließlich sind wir es im Alltag nicht gewohnt, so reduziert und einfach zu sprechen. UND: Das, was wir tagtäglich mit unserem Fips praktizieren, ist sogar ein eigenes Fachgebiet unter uns Textern. Oder besser gesagt: Es kommt dem sehr nahe. Ja, es gibt sogar Experten dafür! Leichte Sprache ist scheinbar gar nicht so leicht. 😉
Als Quereinsteigerin in der Branche hatte ich mit diesem Fachgebiet bisher noch nichts zu tun. Umso schöner, dass ich eine Texterin in unserem Netzwerk kennenlernen durfte, die sich auf genau dieses Fachgebiet spezialisiert hat. Da ich das Thema sowohl aus fachlicher als auch aus privater Sicht unheimlich spannend finde, habe ich mich mit ihr über die Leichte Sprache unterhalten.


Ein Interview mit Christine Reith, Expertin für Leichte Sprache

Christine, du bist seit acht Jahren als Texterin tätig. Wann und vor allem wie bist du zur Leichten Sprache gekommen?

Das war 2016. Meine Schwester ist Architektin und hat sich mit dem barrierefreien Bauen beschäftigt. In dem Zusammenhang ist sie auf die Leichte Sprache gestoßen und hat mir davon erzählt. Tatsächlich gibt es viele Parallelen – denn genauso, wie man bei Gebäuden und Bürgersteigen Barrieren abbauen kann, kann man es eben auch mit der Sprache tun. Der Aspekt hat mir sofort gefallen. Es geht darum, dass jeder Mensch sich informieren und dadurch eine eigene Meinung bilden kann.

Was genau ist denn Leichte Sprache und für wen ist sie gedacht?

Leichte Sprache ist eine besonders gut verständliche Variante der deutschen Sprache. Sie wurde von und für erwachsene Menschen mit Lernschwierigkeiten, also „geistiger Behinderung“, entwickelt – vor allem vom Verein Mensch zuerst. Deswegen sind diese Menschen auch die Kernzielgruppe. Zur erweiterten Zielgruppe gehören alle Menschen, denen das Lesen schwerfällt. Zum Beispiel funktionale Analphabeten, Menschen mit Demenz oder einer anderen Muttersprache. Aber generell kann man sagen, dass alle von Leichter Sprache profitieren können. In unserer Alltagsblase vergessen wir nämlich oft, dass sehr viele Menschen in Deutschland Probleme mit dem Lesen und Verstehen von Standardsprache haben.

Also ist das, was ich mit unserem Fips mache, eigentlich gar nicht Leichte Sprache?

Strenggenommen denke ich eher nein, denn Leichte Sprache richtet sich explizit an Erwachsene und folgt eigenen Regeln. Allerdings ist es nicht nur eine schriftliche, sondern auch eine gesprochene Sprache. Es gibt sogar Simultanübersetzer, beispielsweise für Konferenzen, quasi als Pendant zum Gebärdendolmetscher. Ich denke, das was Du machst, ist eher die sogenannte „einfache Sprache“. Diese hat kein festes Regelwerk und passt sich individuell dem Empfänger an. Deswegen kann sie auch komplexer sein als Leichte Sprache.

Okay, und wie erkenne ich Leichte Sprache? Was genau zeichnet sie aus?

Für Leichte Sprache gibt es eigene Regeln – sie ähneln ein wenig deiner Sprache mit deinem Sohn – so wie du es oben aufgeführt hast. Man verwendet sehr kurze Sätze, einfache Wörter, macht nur eine Aussage pro Satz und verzichtet auf alles Komplizierte. Tabu sind zum Beispiel Passiv, Genetiv, Fachwörter, Verneinungen oder bildhafte Sprache. Zusammengesetzte Wörter werden mit einem Bindestrich (-) oder Mediopunkt (∙) getrennt, dann sind sie leichter lesbar. Das kann zum Beispiel so aussehen:

Morgen ist ein Fest.
Genauer: Ein Sommer-Fest.
Das Sommer-Fest ist in der Turn-Halle.
Der Beginn ist um 12 Uhr.
Das Ende ist um 18 Uhr.
Es gibt Musik und Auftritte.
Und es gibt Essen und Trinken.

Zur Leichten Sprache gehören auch spezielle Illustrationen, die die Aussagen im Text unterstützen. Auch die Grafik, also etwa eine gut lesbare Schrift, ist Vorrausetzung für Leichte Sprache. Eine wichtige Rolle spielt die Zielgruppe: Damit ein Text das Leichte Sprache-Siegel erhält, muss er vor der Veröffentlichung durch sogenannte Prüfgruppen geprüft sein. Das bedeutet, Menschen mit Lernschwierigkeiten lesen den Text Wort für Wort und entscheiden, ob er verständlich ist. Sonst muss er nochmal überarbeitet werden.

Das klingt wirklich spannend. Und was genau fasziniert Dich an der Leichten Sprache?

Neben dem Aspekt der Teilhabe, Selbstbestimmung und Inklusion finde ich klasse, dass Leichte Sprache Inhalte auf den Punkt bringt. Ich achte generell bei meinen Texten auf eine gute Lesbarkeit und Struktur, deswegen macht mir das Übersetzen auch so große Freude. Gleichzeitig entlarvt die Leichte Sprache zu komplizierte Ausgangstexte oder solche Textpassagen, die gar keine Aussage mehr haben außer „Blabla“. In der Wissenschaft, bei Gebrauchsanleitungen oder Texten von Ärzten oder Behörden ist das sehr auffällig. Selbst ich als studierte Germanistin saß schon verzweifelt vor Anträgen, weil ich die Fragen nicht verstanden habe. Das darf einfach nicht sein!

Ja, ich weiß genau was Du meinst! Aber wo findet man denn Texte in Leichter Sprache? Mir sind ehrlich gesagt bisher noch keine begegnet.

Texte in Leichter Sprache gibt es zum Glück immer mehr. Die UN-Behindertenrechtskonvention und das Behindertengleichstellungsgesetz fordern explizit Texte in Leichter Sprache. Daher sind viele Informationsangebote der Bundesbehörden aber auch anderer Ämter und Behörden, Ministerien, Organisationen, Parteien, Gemeinden etc. auch in Leichter Sprache verfügbar. Meist findet man auf Internetseiten oben rechts einen Button „Leichte Sprache“ oder ein Symbol dafür wie das aufgeschlagene Buch. Viele Medien wie der Deutschlandfunk (www.nachrichtenleicht.de), die taz oder Brand Eins veröffentlichen Nachrichten in Leichter Sprache, ebenso gibt es entsprechend übersetzte Romane oder Sachbücher. Auch im öffentlichen Raum – beispielsweise in Museen – findet man Leichte Sprache immer öfter. Gleichzeitig gibt es übrigens auch Kritiker der Leichten Sprache. Sie befürchten einen Niveauverlust der deutschen Sprache oder gleich den Untergang des Abendlandes. Das macht mich wütend, denn es zeugt von großer Ignoranz gegenüber dem Anderssein und fehlender Empathie. Leichte Sprache macht Informationen für Menschen zugänglich, die sonst keinen Zugang dazu hätten. Das sollte ein unschlagbares Argument sein.

Da stimme ich Dir absolut zu, liebe Christine! Ganz herzlichen Dank für das Interview und die vielen spannenden Informationen.

Christine Reith

…hat Germanistik und Soziologie studiert und
arbeitet als freie Texterin, PR-Redakteurin und Übersetzerin für Leichte Sprache in Fulda.

www.fraureith.de

Bildquelle: Titelbild – pixabay / Texler

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