Im Alltag

Stopfen, schlingen, würgen: Bis zum Erbrechen.

Als ich die Nummer vom Kindergarten auf meinem Handydisplay leuchten sah, ahnte ich nichts Gutes. War irgendetwas passiert mit unserem Fips? Einen kurzen Moment später Entwarnung – zumindest für mich. Unser Fips hatte beim Essen gebrochen. Ich konnte mich also entspannen. Das Kita-Team dagegen war vermutlich weniger entspannt. Denn das, was für mich zum Alltag dazugehört, ist für die Erzieherinnen und Erzieher in der Kita eher eine Seltenheit und sorgte verständlicherweise erstmal für eine gewisse Besorgnis.

Magen-Darm in der Kita?

Die erste Befürchtung des Kita-Teams: Ein Magen-Darm-Infekt? In einer Einrichtung mit insgesamt 45 Kindern läuteten da natürlich die Alarmglocken. In Windeseile könnten sich schließlich andere Kinder und auch Erzieherinnen anstecken. Doch ich konnte sie beruhigen. So wie mir der Kita-Leiter die Situation schilderte, war ich mir schon per Ferndiagnose relativ sicher, dass unser Fips nicht krank ist, sondern einfach mal wieder nicht richtig gekaut hatte. Eine große Sauerei im Kindergarten, aber Entwarnung für alle Beteiligten.
Der ein oder die andere wird sich vielleicht fragen, wie ich das per se so schnell beurteilen konnte, ohne mein Kind gesehen zu haben. Was, wenn er doch einen Magen-Darm-Infekt hatte? Ich gebe zu, dass ich für einen ganz kurzen Moment unsicher war und das natürlich nicht ausschließen konnte. Für ein paar Sekunden ratterte es in meinem Kopf… Sollte ich den Fips besser abholen? Ich wollte schließlich nicht dafür verantwortlich sein, wenn am Ende die halbe Kita mit Magen-Darm-Grippe flach liegt. Aber im gleichen Moment war ich mir sicher, dass es unser übliches Problem war: das leidige Thema mit dem Essen. Also habe ich das auch unserem Kita-Leiter so erklärt. Wenn der Fips keine weiteren Auffälligkeiten zeigt und sich weiter normal verhält und spielt – alles im grünen Bereich. Und so war es auch.

Bis zum Erbrechen

Dennoch irgendwie seltsam, dass das im Kindergarten bisher eher selten vorgekommen ist. Die einzige Erklärung für mich ist die, dass unser Fips dort durch das Geschehen um ihn herum stärker abgelenkt ist und dadurch einfach langsamer isst.
Bei uns zuhause dagegen ist er so auf das Essen fixiert und dermaßen ungeduldig, dass es gar nicht schnell genug gehen kann. Wenn ich da nicht richtig aufpasse, stopft er alles in sich hinein, was er in die Finger bekommt, kaut dreimal und schlingt es hinunter – bis sein starker Würgereiz sich meldet und er sich übergeben muss. Daher behalte ich ihn beim Essen am liebsten permanent im Auge, um eingreifen zu können, wenn er sich mal wieder zu viel in den Mund schiebt.
Immerhin: Verschluckt hat er sich bei seinen Essgewohnheiten bisher äußerst selten. Das spart uns ja schonmal große Sorgen. Dennoch ist das Essen bei uns eine ziemlich unruhige Angelegenheit, geschweige denn, dass ich selbst in Ruhe essen könnte. Doch wir kennen es gar nicht anders. Es war schon immer so. Schon als Baby hat er viel gespuckt, und mit der Umstellung auf feste Nahrung wurde das Ganze nicht besser.  😉

Typisch für Kinder mit fragilem X-Syndrom

In den ersten Monaten bzw. Jahren hat uns dieses ständige Erbrechen noch ziemliche Sorgen bereitet, denn es gab für uns keinen erkennbaren Grund dafür. Manchmal kam es aus heiterem Himmel, aber meistens eben beim Essen oder Fläschchen trinken bzw. direkt danach. Selbst unser Kinderarzt und der Arzt im SPZ konnten uns nicht weiterhelfen. Es war, als gehörte diese „Eigenart“ einfach zu unserem Fips dazu. Als hätte er einfach einen sehr starken Würgereiz. Aber ansonsten ging es ihm ja immer gut. Verstärkt wird das Problem natürlich durch seine Angewohnheit zu stopfen und zu schlingen. Doch mit der Diagnose Fragiles X-Syndrom haben wir auch erfahren, dass dieses Verhalten bei FraX-Kindern keine Seltenheit ist. Inwieweit das Erbrechen auch bei anderen FraX-Kindern vorkommt, kann ich nicht beurteilen. Aber es bereitet mir zumindest keine Sorgen mehr. Ich weiß, dass unser Fips auf sensorische Reize sehr empfindsam reagiert, und das reicht mir als Erklärung.

Tipps für den Alltag

Das Gute an der Sache ist, dass wir im Laufe der Jahre sehr routiniert geworden sind. Mittlerweile erkenne ich schon an seinem Gesichtsausdruck, wenn der Fips gleich wieder brechen muss. Dann sitzt jeder Handgriff, und in der Regel habe ich auch immer eine Schüssel am Tisch stehen. Mit der Zeit haben wir ganz einfach gelernt, damit umzugehen und versuchen natürlich dem Ganzen bestmöglich vorzubeugen.

Doch was bedeutet das konkret für gemeinsame Mahlzeiten?

  • rationierte Portionen anbieten
  • kleine Stücke schneiden
  • lieber einen kleineren Löffel verwenden statt einen großen
  • sein Verhalten gut beobachten
  • immer wieder darauf hinweisen: langsam machen, schön kauen, erst den Mund leer essen
  • Vorbild sein – gemeinsam kauen „wie ein Tiger“
  • notfalls „bremsen“ – nächste Portion zurückhalten bzw. seine Hand festhalten
  • zwischendurch ausreichend trinken lassen
  • für den Notfall immer ein Schüsselchen bereithalten
  • bei Erkältungen oder Husten, wenn er ohnehin schon verschleimt ist:
    keine Lebensmittel, die im Hals „stören“ und den Würgereiz verstärken, z.B. Obst/Gemüsemit Schale wie Weintrauben, Tomaten o.ä.
  • in der Logo und auch zuhause: Übungen mit dem Kauschlauch

Hast Du ähnliche Erfahrungen gemacht und noch ein paar Tipps dazu? Dann freue ich mich sehr auf Deine Rückmeldung!

Und nun werde ich erstmal ganz in Ruhe etwas essen… 😉

Bildquelle: pixabay / RitaE

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