Wenn ich auf das Weihnachtsfest in diesem Jahr zurückblicke, dann stelle ich zu meiner eigenen Überraschung fest: Es war tatsächlich Premiere. Zum ersten Mal konnte ich Weihnachten wirklich genießen – und zwar so, wie wir es in unserer kleinen FraX-Welt gestalten, mit all seinen Besonderheiten. Zum ersten Mal habe ich an Weihnachten nichts vermisst. Das war nicht immer so. Warum – das erzähle ich Dir in meinem heutigen Blogbeitrag.
Von eigenen Weihnachtsträumen …
Weihnachten hat einen ganz besonderen Zauber. Dieses wohlig warme Gefühl, das sich über die Tage legt und die Herzen berührt. Für mich persönlich liegt dieser Weihnachtszauber in den vielen schönen Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend. Ganz besonders in den Erinnerungen an Heilig Abend: Das gemütliche Beisammensein bei Kaffee, Plätzchen und Lebkuchen, bevor es dann mit der ganzen Familie in die Kirche ging. Das gemeinsame Abendessen am festlich gedeckten Tisch. Danach wurden die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet, gemeinsam musiziert und gesungen und anschließend gab es Bescherung. Es war für mich im wahrsten Sinne ein Heiliger Abend, den ich bis heute in meinem Herzen trage.
Als ich dann selbst Mutter war, wollte ich diesen Zauber und die Traditionen gerne auch in meine eigene kleine Familie weitertragen. Die liebgewonnenen Weihnachtsbräuche, wie ich sie seit Kindheitstagen kannte und mit denen ich so viel verbinde, sollten auch in meiner Familie weiterleben.
… und dem Erwachen in der Realität
Als unser Sohn noch sehr klein war, funktionierte das vielleicht noch – wenn auch in abgewandelter Form. Immerhin: Ein paar Weihnachtslieder aus dem Kinderliederbuch, ein gemeinsames Abendessen und dann die Bescherung – so feierten wir nun unser eigenes Weihnachtsfest als frisch gebackene Familie. Doch je älter unser Sohn wurde, umso mehr verblasste der Weihnachtszauber und umso größer wurde meine Enttäuschung.
Heute ist unser kleiner FraX acht Jahre alt und es ist wenig übriggeblieben von der besinnlichen Zeit. Es gab einige Weihnachtsfeste, an denen mich dieser „Verlust“ unglaublich traurig gemacht hat. Es war, als würde ein Teil von mir sterben. Ich musste etwas loslassen, das seit Jahrzehnten zu mir gehört hatte. Dieser so Heilige Abend – es gab ihn nicht mehr. Nicht so, wie ich ihn kannte und wie ich es mir auch für meine eigene Familie gewünscht hatte. Ich musste mich daran gewöhnen, dass „unser“ Weihnachten anders ist. Anders als in vielen anderen Familien.
Das gespannte Warten und die Vorfreude auf das Christkind, das gemeinsame Singen von Weihnachtsliedern, funkelnde Kinderaugen beim Auspacken der Geschenke, … Selbst das gemeinsame Plätzchen backen in der Adventszeit, das aufgeregte Öffnen der Adventskalendertürchen oder die leckere Zuckerwatte auf dem Weihnachtsmarkt – all das kenne ich nur aus meiner eigenen Kindheit. Mit unserem kleinen FraX gibt es all das nicht. Viel zu laut, zu anstrengend oder ganz einfach: zu viel.
Es brauchte einige Jahre, bis ich mich an diese scheinbar so glanzlose Weihnachtszeit gewöhnt hatte. Mit jedem Jahr und jedem Weihnachtsfest legten sich meine Erwartungen. Ich konnte nach und nach loslassen von dem, was ich mir früher einmal gewünscht und für meine Zukunft ausgemalt hatte. Und während in den ersten Jahren noch viele Emotionen dabei waren, lösten sich auch diese langsam auf.
Unser eigenes Weihnachtsglück
Und heute? Heute kann ich sie genießen, die Weihnachtszeit. Unsere Weihnachtszeit. Denn wir haben unseren Weg gefunden. Unser Weihnachten mit dem fragilen X-Syndrom. Es ist nicht so spannend und aufregend wie in anderen Familien mit Kindern – denn das mag unser Sohn nicht. Es ist nicht so üppig und glanzvoll, denn auch das braucht er nicht. Es interessiert ihn alles nicht.
Wobei – das stimmt nicht ganz. Eine Sache fasziniert ihn tatsächlich in der Weihnachtszeit: Das Krippchen. Er kann sich eine gefühlte Ewigkeit mit den verschiedenen Krippenfiguren beschäftigen. Sie haben eine solche Anziehungskraft auf ihn – fast schon magisch. Ihm dabei zuzusehen – eine Wohltat.
Ehrlich gesagt: Inzwischen gefällt mir unser Weihnachten. Ich mag es selbst gerne etwas leiser. Unaufgeregter. Keine Geschenkeschlacht, keine Enttäuschungen unterm Weihnachtsbaum, keine stressigen Weihnachtsvorbereitungen oder durchgetaktetes „Pflichtprogramm“. Vor allem aber: Viel mehr Glück. Und das ist es doch, was zählt.
Endlich ist mir bewusst geworden: Ich kann unserem Sohn nicht meine eigenen Weihnachtsträume überstülpen, die ihn gar nicht glücklich machen. Stattdessen verbringen wir Weihnachten so, wie es sich für uns alle gut anfühlt. Mit deutlich weniger Tamtam und viel mehr Weihnachtsglück.
Natürlich gibt es dabei noch einen gewissen traditionellen Rahmen, vor allem die Besuche bei Omas und Opas – mit vielen Erinnerungen an Kindheitstage. Doch glücklicherweise mit viel Rücksicht auf unsere eigenen Bedürfnisse. So werden Essenszeiten möglichst nach dem Rhythmus von unserem kleinen FraX geplant, seine Mittagsruhe ist ohnehin fester Bestandteil des Tagesablaufs und auch sonst achten alle darauf, dass die Reizüberflutung nicht überhandnimmt. (DANKE, liebe Familie!)
Wir sind nicht allein
Auch das hat mir in dieser Weihnachtszeit geholfen: zu wissen, dass wir mit unserer Situation nicht alleine sind, dass es viele Familien gibt, denen es genau so geht. Anstoß für diesen beruhigenden Gedanken war ein Artikel der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. Hier wurde ganz wunderschön beschrieben, dass Weihnachten das Fest der Familie ist. Und wir sind eben eine Frax-Familie, in der vieles anders ist. Ganz besonders schön fand ich die Aussage, dass es kein „Weihnachtsfeiergesetz“ gibt, in dem geschrieben steht, wie wir feiern und wann wir was essen müssen. Gerade zu Weihnachten dürfen wir uns eben wieder vor Augen führen, dass mit dem fragilen X-Syndrom vieles anders ist. Dass es deswegen aber genauso schön sein kann!
Und genau das war mir besonders wichtig: Dass unser Sohn Weihnachten genießen kann. Dass er Freude hat an dem, was wir daraus machen. Mit kleinen Highlights, aber eben auch mit ganz viel gewohnter Struktur, die er so dringend braucht.
Meine persönliche Weihnachts-Erkenntnis
Auch wenn vielleicht mein persönlicher Weihnachtszauber verloren gegangen ist: Meine eigenen Weihnachtsträume aus der Kindheit werde ich immer im Herzen tragen. Und unser Sohn darf sich seinen eigenen Weihnachtszauber nun selbst einfangen – genau so, wie wir es für ihn gestalten. Mit allem, was ihm gut tut.
Dazu gehören:
- ein gewohnter Tagesrhythmus
- regelmäßige Essenszeiten
- seine Mittagsruhe
- frische Luft
- viele Rückzugsmöglichkeiten
- viel Fernsehen zwischendurch (ja, auch das gehört bei uns dazu)
- körperliche Nähe (vor allem Kuscheln mit Mama und Kitzeln mit Papa)
- vertraute Personen – Omas, Opas, Paten, usw.
- Geschenke auspacken in Etappen – notfalls auch noch nach Weihnachten
- viele leckere Plätzchen 😉
und vor allem: viel Geduld und Zeit. Denn dann finden wir unseren ganz eigenen Weihnachtszauber.